Haften Eltern für ihre Kinder? Wann sind Kinder haftbar?
Alle Mütter und Väter in Deutschland werden sich die Frage der Haftung für ihre Kinder spätestens stellen, wenn sie auf einer Baustelle oder einem Spielplatz das Schild lesen: „Eltern haften für ihre Kinder“. Doch stimmt das überhaupt? Und wenn ja, wann genau und in welchem Umfang haften Eltern für ihre Söhne und Töchter? Wir werden uns diesen und weiteren Fragen im folgenden Beitrag – garniert mit anschaulichen Beispielen – widmen. Wie immer gilt unser Anspruch: „Recht verständlich erklärt“.
Wann Eltern für ihre Kinder nach dem BGB haften
Gemäß § 832 BGB haften Eltern nur für eine Verletzung ihrer Aufsichtspflicht. Doch was bedeutet das? Das bedeutet zunächst, dass Eltern nicht automatisch jederzeit für ihre Kinder haften, sondern eben nur im Fall einer (eigenen) Aufsichtspflichtverletzung. Die Aufsichtspflicht lässt sich dabei nicht allgemeingültig definieren, denn sie richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Für Art und Umfang der elterlichen Aufsichtspflicht spielen dabei Eigenschaften des Kindes (z.B. Alter und Charakter des Kindes) sowie die übrigen Umstände im konkreten Fall eine Rolle. Erwartet wird jedoch allgemein, was nach objektiven Maßstäben von durchschnittlich vernünftigen Eltern in der konkreten Situation an Aufsicht über ihre Kinder geleistet werden kann.
Diese Definition hört sich „schwammiger“ und schwieriger an, als es in den meisten Fällen in der Rechtsprechung gehandhabt wird. Letztlich dürfte den (meisten) Eltern einleuchten, warum in einem bestimmten Fall von der Rechtsprechung eine Aufsichtspflichtverletzung angenommen wurde. Aufgrund des hohen Gefahrenpotenzials bei Fehlverhalten des Kindes gelten beispielsweise im Straßenverkehr besonders hohe Anforderungen an die Aufsichtspflicht. Ausreichend ist es dabei nicht, das Kind (in den genannten Fällen 9 bzw. 6-jährig) allgemein über die Gefahren des Straßenverkehrs aufgeklärt zu haben. Vielmehr muss in der konkreten Gefahrensituation dem Kind die richtige Anweisung gegeben worden sein, sofern es dem Elternteil zumutbar und nach der konkreten Lebenserfahrung geeignet war, den Schaden zu verhindern (vgl. hierzu AG Hamburg-Altona, Urteil vom 28.5.2019 – 316 C 19/19 sowie auch OLG Hamm, Beschluss vom 8.2.2013 – I – 9 U 202/12).
Wann müssen Eltern Schadensersatz leisten?
Im Regelfall gilt: Wer als Vater oder Mutter seine Aufsichtspflicht verletzt und hierdurch ein Schaden entsteht, muss für den verursachten Schaden dem Geschädigten auch Schadensersatz leisten. Eine Ausnahme besteht jedoch, wenn der Geschädigte selbst für den Schaden (mit-)verantwortlich ist, er also selbst eine Pflicht verletzt hat, die (auch) zu dem in Rede stehenden Schaden geführt hat. In diesem Fall kommt es für die Frage der Ersatzpflicht bzw. die Höhe des zu leistenden Schadensersatzes insbesondere auf den jeweiligen Verursachungsbeitrag der Eltern bzw. des geschädigten Dritten an (vgl. § 254 BGB). Hat also beispielsweise der geschädigte Dritte den Schaden in gleichem Maße verursacht wie die Eltern, so müssen die Eltern nur Schadensersatz im Umfang von 50 % leisten.
Wie lange ist man für Kinder haftbar?
Die Eltern haften so lange für Kinder, wie diese aufsichtspflichtig sind. § 832 Abs. 1 S. 1 BGB legt fest: „Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf (…)“. Da sich die Aufsichtspflicht nach den konkreten Umständen des Einzelfalls bemisst (siehe oben), kann die Frage, wie lange die Eltern für Kinder haften nur dahingehend eindeutig beantwortet werden, dass die Aufsichtspflicht mit der Volljährigkeit endet. Davor gilt, dass die Anforderungen an die Aufsichtspflicht mit zunehmendem Alter des Kindes immer mehr abnimmt.
Wann sind Kinder haftbar?
Bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres (also bis zum Tag des 7. Geburtstags) ist ein Kind nicht deliktsfähig. Gemäß § 828 Abs. 1 BGB ist es damit für einen Schaden, den es einem anderen zufügt, auch nicht verantwortlich. Ab dem Tag des 7. Geburtstags haftet ein Kind also selbst für den Schaden, den es verursacht hat. Davon gibt es jedoch zwei Ausnahmen:
1. Bis zum 18. Geburtstag besteht die Möglichkeit, dass das Kind/der Jugendliche dennoch nicht haftet, sofern ihm bei der schädigenden Handlung die nötige Einsichtsfähigkeit gefehlt hat (vgl. § 828 Abs. 3 BGB). Die Beurteilung ist diesbezüglich eine Frage des Einzelfalls.
2. Es besteht eine Sonderregelung für den (Straßen-)Verkehr. Zwischen dem siebenten und der Vollendung des zehnten Lebensjahres (also bis zum Tag des 10. Geburtstags) ist ein Kind nur für einen Unfall mit einem Kfz, einer Schienen- oder Schwebebahn nicht verantwortlich (§ 828 Abs. 2 BGB). Eine Ausnahme von dieser Ausnahme besteht wiederum nur, wenn das Kind vorsätzlich gehandelt hat, was der absolute Ausnahmefall sein dürfte.
Ist das Kind also bereits deliktsfähig, haftet es für einen verursachten Schaden selbst (in der Regel gem. § 823 Abs. 1 BGB). Haben die Eltern daneben im konkreten Fall auch ihre Aufsichtspflicht verletzt, haften sie dem Geschädigten zusätzlich (also neben der Haftung des Kindes) gemäß § 832 Abs. 1 BGB.
Alltägliche Beispiele zur Frage, wann Eltern für Kinder haften
Beispiel 1: Wer haftet, wenn mein Kind etwas kaputt macht?
In Betracht kommt eine Haftung des Kindes, der Eltern oder die Möglichkeit, dass keiner haftet und der Geschädigte auf seinem Schaden sitzenbleibt. Letzteres ist der Fall, wenn das Kind beispielsweise sechs Jahre alt, also noch nicht deliktsfähig ist und die Eltern auch ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt haben. Im Übrigen kommt bei Deliktsfähigkeit des Kindes eine eigene Haftung des Kindes in Betracht und/oder eine Haftung der Eltern, sofern sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben.
Grundsätzlich empfiehlt sich für alle derartige Fälle eine Familienhaftpflichtversicherung. Achten Sie dabei genau darauf, was die Haftpflicht übernimmt und wie hoch die Deckungssumme ist. Beachten Sie: Körperliche Schäden sind im Regelfall deutlich teurer als Sachschäden! Ein kaputtes Fenster beim Nachbarn durch einen Schuss beim Fußball ist also im Regelfall viel günstiger als wenn der Nachbar durch den Schuss ein kaputtes Auge erleidet. Im Regelfall besteht auch die Versicherungsoption, dass die Versicherung sogar zahlt, obwohl weder Sie noch das Kind haften. Letzteres spielt eine Rolle, wenn Sie im Sinne der guten Nachbarschaft den Nachbarn dennoch entschädigen wollen, damit er nicht auf seinem Schaden sitzenbleibt.
Beispiel 2: „Eltern haften für ihre Kinder“- Schild auf Baustelle und Spielplatz
Insbesondere auf Baustellen und Spielplätzen findet sich oft ein deutliches angebrachtes Schild mit dem Hinweis: „Eltern haften für ihre Kinder“. Der Hinweis ist in dieser Pauschalität jedoch falsch, denn es gilt zu differenzieren. Wie bereits dargestellt, haften Eltern nur für eine eigene Verletzung der Aufsichtspflicht, deren Art und Umfang sich jedoch nach den konkreten Umständen des Einzelfalls richtet. Das bedeutet in der Konsequenz auch, dass neben den Eltern natürlich noch andere haftungspflichtige Personen in Betracht kommen, möglicherweise sogar primär.
Auf einem Spielplatz haftet der Betreiber (meist Gemeinde oder Stadt) insbesondere im Rahmen seiner sogenannten Verkehrssicherungspflicht. Er muss vor Gefahren schützen, die über das Risiko der normalen Benutzung hinausgehen und nicht ohne Weiteres erkennbar sind (vgl. u.a. hierzu OLG Hamm, Urteil vom 19.06.1995 – 13 U 25/95). Dazu gehört freilich auch die regelmäßige und ordnungsgemäße Wartung der Geräte. Auch der Betreiber einer Baustelle muss vor den dort lauernden Gefahren im zumutbaren Rahmen schützen, also je nach Einzelfall beispielsweise die Baustelle kennzeichnen bzw. einzäunen. Sofern der jeweils Pflichtige seiner Verkehrssicherungspflicht nicht nachkommt, haftet er allein oder anteilig neben dem Kind (bei Deliktsfähigkeit) bzw. den Eltern, sofern diese ihre Aufsichtspflicht verletzt haben.
Zusammenfassung: Wann haften Eltern für ihre Kinder?
Eltern haften für ihre Kinder nicht immer, sondern nur wenn sie selbst ihre Aufsichtspflicht gegenüber dem Kind verletzt haben. Art und Umfang der Aufsichtspflicht richtet sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls. Das Schild „Eltern haften für ihre Kinder“ stimmt also nur sehr eingeschränkt und entfaltet keine eigene rechtliche Wirkung. Für Eltern empfiehlt sich der Abschluss einer Familienhaftpflichtversicherung, die in vielen Fällen die Schäden ersetzt, die ihr Kind bei einem Dritten verursacht hat.
Eltern haften für ihre Kinder im Übrigen nicht, wenn sie die Aufsichtspflicht durch Vertrag auf Dritte, beispielsweise eine Tagesmutter oder einen Kindergarten, übertragen haben (vgl. § 832 Abs. 2 BGB). In diesem Fall trifft die Aufsichtspflicht die Tagesmutter oder den Kindergarten. Wichtig ist auch, dass die Großeltern bei Beaufsichtigung des Kindes nicht automatisch auch die Aufsichtspflicht übernehmen. Eine (stillschweigende) vertragliche Übernahme der Aufsichtspflicht gemäß § 832 Abs. 2 BGG ist grundsätzlich möglich, jedoch nur unter strengen Anforderungen. Dass ein 11-Jähriger ein Wochenende bei den Großeltern verbringt, reicht insbesondere aufgrund der Kürze des Aufenthalts nicht für eine Übernahme der Aufsichtspflicht durch die Großeltern (vgl. dazu LG Frankfurt am Main, Urteil vom 29.10.2020 – 2-03 O 15/19).